Aufstand der russischen Trucker
Wegen der seit Kurzem geltenden Maut für Lkw legen sich russische Fernfahrer mit der Staatsmacht an und drohen das Land lahmzulegen. Die Folge: erste Festnahmen von protestierenden Fernfahrern. Der deutsche Branchenverband Camion Pro fordert die sofortige Freilassung der Aktivisten und die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien.
Foto: 23.3. ver.di Berlin
Andrej Bazhutin, Sergej Vladmiriov, Mikhail Kurbatov und Dolmetscherinen
Im Gespräch mit Stefan Thyroke ver.di Bundesfachgruppenleiter Speditionen, Logistik und KEP und Andreas Mossyrsch Camion Pro
In „Convoy“, dem wohl bekanntesten Fernfahrer-Film aller Zeiten, bilden amerikanische Trucker unter der Führung von „Rubber Duck“ (Kris Kristofferson) im Kampf gegen korrupte Gesetzeshüter einen Konvoi aus Lkw. Dabei kämpfen sie für ihre Rechte und für die Freiheit auf dem Highway. Sie legen sich mit der Polizei und der Obrigkeit an, die den Aufstand mit aller Härte und teilweise rechtswidrigen Methoden niederschlägt. So weit die Handlung des bekannten Roadmovies aus dem Jahre 1978.
Was gerade in Russland passiert, klingt wie das Drehbuch zu „Convoy“, ist aber keine Hollywood-Fiktion, sondern die Wirklichkeit. Der echte „Rubber Duck“ heißt Andrej Bazhutin, fährt keinen „Mack“, sondern einen Volvo FH12, und nicht der Mittlere Westen Amerikas, sondern die Weiten Russlands sind sein Arbeitsplatz. „Ansonsten übertreffen die Ereignisse, die wir in diesen Tagen in Russland beobachten können, die Hollywood-Vorlage bei Weitem“, beschreibt Andreas Mossyrsch, Vorstand des Branchenverbandes Camion Pro, die Entwicklung des aktuellen Fernfahrerprotests in Russland.
Die Proteste begannen vor rund eineinhalb Jahren, als der russische Staat eine Lkw-Maut einführte. Nach Einschätzung vieler Fahrer bedroht diese Abgabe die Existenz der russischen Kleinunternehmen. Die Maut beträgt umgerechnet rund fünf Cent pro Kilometer. „Das ist für den desolaten russischen Straßenzustand weit überteuert“, sagt Andrej Bazhutin, Chef der Vereinigung russischer Transportunternehmer. „Für uns ist klar: Wir bezahlen nicht für die Benutzung der Straßen, die vorhanden sind, sondern für Straßen, die der Staat noch bauen will. Zudem sind die Betreiber des Mautsystems private Investoren. Ob aus den Einnahmen der Maut wirklich Straßen gebaut werden, ist für uns völlig unklar. Das System ist absolut intransparent und korrupt“, gibt der engagierte Fernfahrer zu bedenken.
Dass die Transportunternehmen die Kosten für die Maut nicht einfach an die Kunden weitergaben, hat aus Bazhutins Sicht nachvollziehbare Gründe: Russland befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Hinzu kommt, dass durch die Wirtschaftssanktionen der EU viele Transporte nach Westeuropa wegfallen. „Die Wettbewerbssituation ist für uns katastrophal. Es gibt mehr Fahrer als Aufträge, und unsere Kunden sind zumeist große Unternehmen oder Speditionen. Die Kunden weigern sich einfach, höhere Preise zu akzeptieren - nach dem Moto ‚Friss oder stirb!‘“, beschreibt Sergej Vladmiriov, stellvertretender Vorsitzender des Fernfahrerverbands, die Ausgangslage für hunderttausende russische Lkw-Fahrer. Gewerkschaften wie in westlichen Staaten gibt es kaum, und die rund 70 Prozent der Fahrer in Russland sind selbstfahrende Unternehmer und nicht organisiert. Es ist nun das erste Mal, dass sich Menschen in der Transportbranche zusammenschließen. "Unser Verein zählt rund 10.000 Mitglieder, die sich innerhalb eines Jahres zusammengefunden haben. Begonnen haben unsere Proteste mit Konvoi-Protestfahrten", berichtet Andrej Bazhutin.
Diese Demonstrationen der nicht-staatlichen Macht wurden Putins Administration offenbar schnell unheimlich. Innerhalb weniger Tage wurden Konvoi-Fahrten in Russland kurzerhand verboten. Die Fahrer ließen sich aber davon nicht beeindrucken und verstärkten ihre Proteste mit weiteren Konvois und Straßenblockaden. Die russische Polizei nahm daraufhin reihenweise Trucker in Haft. Aber die Regierung machte auch Zugeständnisse. So stellte sie in Aussicht, die Maut nicht auf kleine Lkw und Pkw auszuweiten. Andrej Bazhutin: „Damit sollte vor allem den streitbaren Lkw-Fahrern die Unterstützung der Bevölkerung entzogen werden.“
Die russischen Trucker hatten schon seit Herbst 2016 Kontakte zu deutschen Organisationen wie ver.di und Camion Pro gesucht. Am 23. März 2017 fand ein Treffen zwischen Andrej Bazhutin, der Gewerkschaft ver.di und Camion Pro in der ver.di-Bundeszentrale in Berlin statt.
Die Vereinigung russischer Transportunternehmer, Andrej Bazhutin vorsteht, hatte für den 26. März 2017, im Zuge der landesweiten Proteste gegen Korruption, zu weiteren Protest-Konvoifahrten und Blockaden in Russland aufgerufen.
Wie ernst die russische Staatsmacht die Proteste nimmt, zeigt, mit welcher Härte und Willkür die Polizei offensichtlich gegen die Organisatoren des Fernfahrerstreiks vorgeht: Camion Pro erfuhr am 27.März, dass Andrej Bazhutin nach der Rückkehr in seine Heimat beim Verlassen seines Hauses von der Polizei festgenommen wurde. Ihm wird „Fahren ohne Führerschein“ vorgeworfen. Unterstützer aus seinem Umfeld versichern, dass Bazhutin im Besitz eines gültigen Führerscheins ist und ihm dieser nie entzogen wurde. Seine schwangere Frau wollen die Behörden nun zwangsweise „aus gesundheitlichen Gründen“ in einer Klinik unterbringen und gleichzeitig die Kinder des regimekritischen Lkw-Fahrer in staatliche Obhut nehmen. Mit diesen Maßnahmen wollen die Behörden Bazhutin und seine Mitstreiter offenbar einschüchtern und massiv unter Druck setzen. An den Festnahmen Bazhutin und andere „Schlüsselfiguren“ soll auch das „Russisches Zentrum für Extremismusbekämpfung“ beteiligt gewesen sein.
Camion Pro hat den russischen Truckern schon beim Treffen am 23. März die volle Unterstützung zugesagt. Camion-Pro-Vorstand Andreas Mossyrsch: „Wir fordern die russischen Behörden auf, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten und die festgenommenen Fernfahrer-Aktivisten unverzüglich freizulassen!“
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