Camion Pro Dokumentation jetzt online!
Filmdokumentation zum Symposion „Moderne Sklaverei in der europäischen Transportwirtschaft“ geht online
Die Dokumentation fasst die bedrückenden Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien der Wirtschaftsuniversität Wien, die Recherchen von Camion Pro sowie die Aussagen von Politikern und Juristen zusammen, die am Symposion vom 26.4.2022 teilgenommen haben, zusammen. Die Verhältnisse, die offengelegt wurden, beschreiben organisierte Kriminalität, moderne Sklaverei und Ansätze des Menschenhandels auf der deutschen Autobahn und stellen den europäischen Gedanken infrage.
Am 26. April 2022 trafen sich auf Einladung des Berufsverbands Camion Pro internationale Fachleute, um die neuesten Recherchen und wissenschaftlichen Erkenntnisse, die der Berufsverband in den letzten zwei Jahren zur Situation osteuropäischer LKW-Fahrer, die auch auf deutschen Autobahn eingesetzt werden, dokumentiert hat, auszuwerten.
Nun kann bei YouTube ein 45-minütiger Mitschnitt der Veranstaltung abgerufen werden.
Das Video vermittelt nicht nur Eindrücke der hochgradig rechtswidrigen Verhältnisse, unter denen vor allem ukrainische und weißrussische Arbeitskräfte auf deutschen Autobahnen ausgebeutet werden. Es zeigt auch die Zusammenhänge von organisiertem Verbrechen und offenbar "organisiertem Politikversagen" einer hilflosen Europäischen Union und von deutschen Großlogistikern, die als Drahtzieher und Nutznießer Millionenbeträge durch den Einsatz von osteuropäischen Subunternehmern verdienen.
Im Vordergrund des Symposions stand die Studie, die Camion-Pro-Vorstand Andreas Mossyrsch zusammen mit Dr. Groschopf von der Wirtschaftsuniversität Wien und Professor Ki-Hoon Lee, Lehrstuhl für Nachhaltigkeitsmanagement, Griffith Universität Sydney/Australien und Experte für moderne Sklaverei, durchgeführt hat. Mit dieser Studie, an der sich über 1000 LKW-Fahrer aus o.g. Staaten beteiligt haben, konnte erstmals wissenschaftlich aufgezeigt werden, mit welcher kriminellen Energie und welch rechtswidrigen Methoden Logistiker in Osteuropa vorgehen.
Die Dokumentation auf Youtube:
Die Studie konnte aufzeigen, dass zum Beispiel 63 % der Fahrer über keine Arbeitslosenversicherung verfügen. Lediglich 7,6 % der Umfrageteilnehmer geben an, dass sie über eine Rentenversicherung verfügen. Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, einen erheblichen bzw. den größten Teil ihres Einkommens als „Spesen auf die Hand“ ausgezahlt zu bekommen. Neben weiterer gravierender Verletzung von Rechts- und EU-Standards konnte die Studie auch aufzeigen, dass 35 % der Befragten von ihren Arbeitgebern mit gefälschten Unterlagen ausgestattet werden, um diese bei Polizeikontrollen vorzulegen. Parallel zu der Studie recherchierte Camion-Pro-Vorstand Andreas Mossyrsch zwei Jahre lang in Zusammenarbeit mit Fahrern und Rechtsanwälten aus Osteuropa und konnte dabei die Verstrickungen der Politik mit Wirtschaftskriminalität in Litauen aufzeigen. Mossyrsch führte Gespräche mit Gewerkschaften, Wissenschaftlern, Spediteuren und Arbeitgeberverbänden in dem baltischen Staat und war Gast in der Simas (Litauisches Parlament). Dabei wurde immer deutlicher, dass in dem kleinen baltischen Staat mit 2,7 Mio. Einwohnern die „systemrelevante“ Transportbranche zunehmend die Kontrolle über politische Entscheidungen übernimmt. Parlamentsmitglieder sprachen gegenüber Mossyrsch von mafiaähnlichen Zuständen und Politikern, die massiv unter Druck gesetzt würden; andere Branchenvertreter sprechen von Schutzgelderpressungen und rechtsfreien Räumen in dem Land, das seit 2004 Mitglied der Europäischen Union ist.
Weitere Referenten, die mit ihrer Expertise die veröffentlichten Ergebnisse einzuordnen halfen, machten deutlich, wie dramatisch sie die Situation einschätzen.
Ismail Ertug, Mitglied des Europäischen Parlaments und Logistikexperte, spricht in seinem Vortrag von „Wildwest“ und sieht die konkreten Werte der Europäischen Union infrage gestellt. Der SPD-Politiker kündigte noch wären des Symposions an, mit Unterstützung von Dr. Groschopf und Andreas Mossyrsch eine Initiative gegen moderne Sklaverei im Europäischen Parlament zu starten.
Stefan Thyroke, Leiter Fachgruppe Speditionen, Logistik, Kurier-, Express- und Paketdienste bei ver.di Deutschland und somit höchster Logistiker der Gewerkschaft, bestätigte in seinem Vortrag, dass auch bei den Gewerkschaften unzählige Berichte von betroffenen Fahrern vorliegen, welche die Recherchen von Camion Pro vollumfänglich bestätigen. Das sind keine Schwarzen Schafe, sondern das ist die Regel! Wenn Fahrer aus diesen Staaten nicht betrogen werden, ist das eine große Ausnahme. Deutsche Großlogistiker profitieren von diesem Sozialdumping und machen Millionengewinne – und dies, obwohl die Bundesrepublik Deutschland als Staat bei einigen dieser Unternehmen die Mehrheiten hält.
Margit Fink, Rechtsanwältin Europa- und Arbeitsrecht bei SGP Rechtsanwälte Neu-Ulm, stellte in ihrem Vortrag das Dilemma klar: „Nach EU-Recht sind ausgerechnet die Mitgliedstaaten für die Bekämpfung illegaler Beschäftigungsverhängnisse zuständig, die diese Ausbeutung selbst durch fragwürdige und mutmaßlich EU-rechtswidrige Gesetze ermöglicht haben.“
Raymond Lausberg, Hauptinspektor und Leiter der Transportgruppe der Autobahnpolizei in Battice, Belgien, der per Video zugeschaltet war, beschreibt katastrophale Verhältnisse, die bei LKW-Kontrollen sichtbar wurden. „Und es wird immer schlimmer, […] ich sehe gerade, dass wir den Krieg auf der Straße gegen kriminelle Speditionen verlieren“, resümiert Lausberg.
Zum Symposion waren auch Vertreter der verladenden Wirtschaft – von DHL und DB Schenker –, aus dem Verkehrsministerium und dem Wirtschaftsministerium sowie der Generalzolldirektion – Finanzkontrolle Schwarzarbeit – eingeladen. Eine Teilnahme war offenbar aber keinem der o.g. Personengruppen möglich.